Greilinger, Andrea (2023): Attraktivität einer Ausbildung im Handwerk: Empirische Analyse zu Erwartungen von Schulabsolventen an einen Arbeitgeber und an Berufsorientierungsmaßnahmen, München, 2023.

Keywords: Ausbildung, Fachkräfte, Mitarbeiterattraktivität

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Attraktivität einer Ausbildung im Handwerk – Empirische Analyse zu Erwartungen von Schulabsolventen an einen Arbeitgeber und an Berufsorientierungsmaßnahmen

Andrea Greilinger

2023

Zusammenfassung

Das größte Problemfeld mittelständischer Unternehmen in Deutschland ist seit drei Jahren in Folge und
mit großem Abstand zu anderen Themenfeldern der Fach- bzw. Arbeitskräftemangel (Icks und Brink 2023). Auch im Handwerk werden Mitarbeitende händeringend und mit teils sehr langen Vakanzzeiten gesucht (Malin und Köppen 2023). Grundsätzlich gibt es vier Strategien gegen den Fachkräftemangel im Handwerk: Mehr junge Menschen ausbilden, weniger junge Menschen durch Vertragslösungen während der Ausbildung verlieren, junge Gesellen stärker an die Ausbildungsbetriebe binden sowie mehr neue, bereits ausgebildete Fachkräfte für die Betriebe gewinnen. Weil die „Kette“ der beruflichen Bildung mit einer betrieblichen Ausbildung startet und somit dies der Initialpunkt für eine Karriere und einen Verbleib im Handwerk ist, setzt die vorliegende Studie an dieser „Einstiegs-Stufe“ an.

Ziel der Datenerhebung und der Auswertungen dieser Studie war es, die Gruppe potenzieller Auszubildender unter Einbezug von Mittel-, Realschülern und Gymnasiasten detailliert zu ihrer Sicht auf eine Ausbildung im Vergleich zu einem Studium zu analysieren. Dieser Forschungsbereich ist vor allem
für die Handwerksorganisation von Interesse und gibt Ansatzpunkte, wie der berufliche Bildungsbereich gestärkt werden könnte. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf der Gewinnung von Erkenntnissen über die präferierten Arbeitgeber- und Jobcharakteristika, nach denen diese junge Arbeitnehmergruppe bei ihrer Berufs- und Ausbildungsbetriebswahl sucht, sowie der Frage, ob sie diese im Handwerk erfüllt sehen. Dabei können die Ergebnisse sowohl von der Handwerksorganisation als auch von Betrieben genutzt werden. Betriebe erfahren beispielsweise, welche Attraktivitätsmerkmale sie für eine erfolgreiche Ansprache von Auszubildenden benötigen und entsprechend aufbauen sollten. Die Handwerksorganisation kann dazu Unterstützungsleistungen anbieten, um Betriebe bei der Entwicklung ihrer Arbeitgebermarke entsprechend der Wünsche der Jugendlichen zu fördern. Weiterhin greift die Studie die Frage auf, welche Maßnahmen Jugendliche im Rahmen der Berufsorientierung wünschen und zeigt so wiederum für die Handwerksorganisation und Betriebe wertvolle Wege auf, Kontakt zu potenziellen Auszubildenden aufzubauen.

Grundsätzlich sind zum Befragungszeitpunkt Gymnasiasten noch schlecht über die Möglichkeiten einer Ausbildung informiert. Dies ist als kritisch zu werten, da in der neunten Jahrgangsstufe auch an dieser Schulart verstärkt Berufsorientierung stattfindet. Sie schätzen – möglicherweise aber auch aus diesem geringen Informationsgrad heraus – die Zukunftsperspektiven, die sie durch den akademischen Bildungsweg erreichen können, signifikant besser ein. Während Mittelschüler und Realschüler annehmen, durch eine Ausbildung später einen sehr interessanten Job ausüben zu können, sehen Gymnasiasten dies deutlich stärker in Verbindung mit einem Studium erfüllt. Insgesamt zeigt sich, dass keine der Schularten – weder mit einer Ausbildung noch mit einem Studium – Zukunftsängste in sich trägt. Das Risiko einer späteren Arbeitslosigkeit wird beispielsweise von allen als gering eingeschätzt. Der größte Ansatzpunkt für die Arbeit der Handwerksorganisation ergibt sich daraus, dass das gesellschaftliche Ansehen in Verbindung mit dem beruflichen Bildungsweg noch immer stark hinter dem mit einem Studium zurückliegt. Diese Sicht haben aber interessanterweise mit den Gymnasiasten vor allem zukünftige Akademiker manifestiert – insofern stellen sie sich selbst mit Blick auf ihr gesellschaftliches Ansehen über Personen mit beruflicher Bildung. Zudem stellt sich aufgrund der Analysen die Frage, ob das Thema der Vergütung nicht von der Handwerksorganisation bzw. den Betrieben stärker thematisiert und angegangen werden müsste. Derzeit existiert die Auffassung – ebenfalls stark durch (zukünftige) Akademiker getrieben – dass man mit einem Studium deutlich besser verdient als mit einer beruflichen Karriere.

Bei der Charakterisierung als Arbeitgeber und mit Blick auf die angebotenen Berufe zeigt sich, dass das Handwerk sehr stark mit körperlich anspruchsvoller Arbeit und Berufen, bei denen man schmutzig wird, in Verbindung gebracht wird. Nach Einschätzung der Schüler handelt es sich zudem um Berufe, bei denen die täglichen Arbeitsergebnisse gut sichtbar sind. Mit Blick auf die Menschen und Arbeitsweise schreiben sie dem Handwerk ein freundliches Team mit viel Zusammenarbeit zu. Flexible Arbeitszeiten und -orte sehen sie bei einer Beschäftigung im Handwerk nicht erfüllt. Zudem
gehen sie stark davon aus, dass eine Beschäftigung im Handwerk negativen Einfluss auf ihr Freizeitbedürfnis nehmen würde. Bei der Frage, wo es die größten Differenzen zwischen den Merkmalen eines Wunscharbeitgebers und der Erfüllung im Handwerk gibt, lassen sich im Handwerk einige untererfüllte Charakteristika identifizieren. Aus Sicht der Schüler müssen Betriebe künftig vor allem bei den Karrierechancen, der Work-Life-Balance (genügend Freizeit neben der Arbeit), der Entlohnung nach der Ausbildung sowie den Zukunftschancen stark aufholen. Als zu stark erfüllt bewerten sie das körperliche Anspruchsniveau sowie das Thema der Schmutzigkeit bei einer Beschäftigung im Handwerk. Ferner sehen sie typische Rollenbilder (typische Frauenberufe bzw. typische Männerberufe) in den Berufen des Handwerks noch stärker vorherrschend, als sie es sich wünschen würden. Auch hier ergibt sich ein Ansatzpunkt für die Handwerksorganisation und deren Initiativen, weiterhin zum Abbau von Klischees beizutragen.

Die Studie hat weiterhin empirische Erkenntnisse über Azubimarketingmöglichkeiten im Rahmen der Berufsorientierung gesammelt. Als wichtigste und interessanteste Berufsorientierungsmaßnahme schätzen Mittel-, Realschüler sowie Gymnasiasten das Praktikum ein. Zudem möchten sie vor allem mit Personen, die den Beruf ausüben oder im gewünschten Unternehmen arbeiten, ins Gespräch kommen. Beides sind Maßnahmen, die ausschließlich Betriebe anbieten können. Diese müssen sich wiederum noch mehr bewusst machen, dass ihnen die Gewinnung von Auszubildenden verstärkt über das Angebot entsprechender Maßnahmen gelingen kann. Ein Austausch mit Eltern, Lehrern und Freunden über mögliche Zukunftswege ist für Schüler aller Schularten ebenfalls sehr hilfreich. Diese Bezugsgruppen sollten von Betrieben bzw. der Handwerksorganisation daher als Zielgruppe für Employer Branding Maßnahmen miteingezogen werden, jedoch nicht in Form gemeinsamer Veranstaltungen mit den Jugendlichen, denn dies ist von den Schülern nicht gewünscht. Auch eine gute Online-Auffindbarkeit von Betrieben sowie ein über die Homepage zur Verfügung gestelltes Informationsangebot zur Ausbildung wird aus Sicht der Jugendlichen für wertvoll befunden. Insgesamt zeigt sich, dass Jugendliche im Rahmen von Berufsorientierungsmaßnahmen nicht mit Dritten, wie beispielsweise einer Handwerkskammer oder einer Arbeitsagentur, sondern am liebsten direkt mit Unternehmen in Kontakt treten wollen. Somit kann die Handwerksorganisation bei Berufsorientierungsmaßnahmen nicht als Ersatz für Betriebe auftreten oder diese allein durchführen. Vielmehr müssen Betriebe zur Beteiligung motiviert werden, wobei das Veranstaltungskonzept, erarbeitete Programme oder Materialien als Unterstützungsleistung vonseiten der Handwerksorganisation beigesteuert werden könnten.

Zusammenfassend hat die Studie gezeigt, dass sich Jugendliche – unabhängig von der Schulart – in etwa dieselben Attraktivitätsmerkmale bei potenziellen Ausbildungsbetrieben wünschen. Je nach Schulart divergiert allerdings die Sicht auf das Handwerk im Hinblick auf die Erfüllung der Attraktivitätsmerkmale. So haben Gymnasiasten den im Vergleich kritischsten Blick auf das Handwerk und eine Ausbildung per se. Die Erreichbarkeit der Schüler über Berufsorientierungsmaßnahmen ist gegeben, vor allem das Praktikum sticht dabei auch bei Gymnasiasten als hoch interessantes Konzept hervor. Da diese Studie aber lediglich die Wünsche der Jugendlichen zu Berufsorientierungsmaßnahmen erhoben hat, wäre im nächsten Schritt eine Untersuchung notwendig, die die Wirkung einzelner Maßnahmen untersucht, an der Schüler der unterschiedlichen Schularten teilgenommen haben. Nur so könnte sich zeigen, welche Maßnahmen eine starke, positive Veränderung der Wahrnehmung von Schülern zur Ausbildung und zum Handwerk auslösen. Auf dieser Studie aufbauende Forschungsarbeiten müssten zudem die Attraktivität von Berufen, die im Handwerk doch sehr unterschiedlich sein können, einbeziehen.

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